Im letzten Blog haben wir uns die Erscheinungsformen von Kraft genauer angesehen und dabei insbesondere eine Abgrenzung von Kraft und Power (Schnellkraft) vorgenommen. Wir haben gesehen, dass sich die Schnellkraft im Gegensatz zur Maximalkraft auf die Geschwindigkeit der Krafterzeugung konzentriert. In dieser Woche wollen wir die Schnellkraft nochmal genauer unter die Lupe nehmen und uns anschauen wie diese trainiert werden kann.
Hintergrund:
Wie wir mittlerweile wissen stellt die Maximalkraft die Basis für alle weiteren Kraftfähigkeiten dar (1). Demnach auch für die Schnellkraft (englisch = Power).
Nach dem wissenschaftlichen Konsens ist insbesondere bei untrainierten bis mäßig trainierten Personen ein schweres Krafttraining allein schon ausreichend, um nicht nur die Kraft, sondern auch die Schnellkraft zu steigern (2). Durch einen raschen Anstieg des 1-Wiederholungs-Maximums (1-RM) aufgrund der neuromuskulären Anpassungsprozesse können nicht nur höhere Kraftleistungen, sondern auch dieselben in einer schnelleren Zeit erzeugt werden. Somit steigt der Power-Output (4).
Häufig wird in der Literatur auf Kraftwerte im Bereich des 2-fachen Körpergewichts in der Kniebeuge verwiesen, welche eine empfehlenswerte Leistungsfähigkeit des Unterkörpers darstellt (4). Je stärker allerdings Athlet:innen werden, desto geringer wird irgendwann der Übertrag auf die Schnellkraft. Dies liegt unteranderen daran, dass die zusätzliche Kraftzunahme mit dem Leistungslevel stark abnimmt (2). Dementsprechend würden die Progammierungsansätze für weitere Kraftzuwächse umfangreicher werden und der Übertrag sinkt. Somit stellt ab diesem Punkt ein schweres Krafttraining ein ungünstiges Aufwand-Nutzen-Verhältnis dar. Um die Leistung ab diesem Punkt zu verbessern, bedarf es weiterer Trainingsmethoden, die natürlich auch im Vorfeld schon genutzt werden können, um einen besonderen Fokus auf die Geschwindigkeitskomponente zu legen, aber gerade bei bereits hohen Kraftwerten einen besonderen Stellenwert bekommen sollten (4). Hierzuzählen das Explosivkraft- und Reaktivkrafttraining.
Explosiv- und Reaktivkraft
Die Explosivkraft beschreibt die maximale Kraftentwicklungsrate (englisch = rate of force development/ RFD), welche in der jeweiligen sportlichen Bewegung oder Übung realisiert werden kann (3). Dieser Wert wird von der Kraft-Zeit Kurve bestimmt. Formel: RFD = ∆ force / ∆ time.
Häufig wird dabei auf den steilsten Kraftanstieg innerhalb eines vorgegeben Zeitraums (30-50 ms = Startkraft, oder 200 ms) hingewiesen. Bewegungen wie Springen, Springen oder Richtungswechsel weisen häufig schnelle kraftvolle Kontraktionen in einem Bereich von 50-250 ms auf (4). Dadurch ist es unwahrscheinlich, dass eine absolute maximale Krafterzeugung generiert werden kann. Aus diesem Grund kann es sinnvoll sein, dass leichte Gewichte mit maximaler Intention beschleunigt werden, um die RFD optimal zu entwickeln (ballistisches Krafttraining: z.B. Bench Throw).
Die Reaktivkraft beschreibt hingegen die Kraftleistung, welche im Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus, also aus der Folge schneller exzentrischer und konzentrischer Muskelkontraktionen generiert wird (6). Sie stellt eine eigene Kraftfähigkeit dar und wird an dieser Stelle nur kurz an skizziert. Plyometrisches Training kann zum Beispiel genutzt werden, um den Vorgang des Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus durch eine Verbesserung der Energiespeicherkapazität der muskulotendinösen Strukturen zu verbessern (5). Ein Übungsbeispiel hierfür wären Jump Squats, welche mehrfach mit maximaler Intention ausgeführt werden können. Manche Übungen können sowohl zum ballistischen als auch plyometrischen Training zugeordnet werden. Allerdings stellen beide Konzepte eigenständige Trainingsmethoden dar. (Falls du Interesse an einem Blog-Artikel über den Unterschied hast, schreib uns gerne!)
Wie wir bereits festgestellt haben reicht ein einfaches Krafttraining aus, um die Schnellkraft, und damit die maximale Kraftentwicklungsrate (RFD) innerhalb einer vorgegebenen Zeit (z.B. der ersten 200 ms) bei untrainierten bis moderat trainierten Athlet*nnen zu verbessern (3, 4).
Wenn wir nun aber den Einfluss des Explosivkraft- und ballistischen Krafttrainings auf die Kraft-Zeit-Kurven betrachten, stellen wir fest, dass diese wie bereits erwähnt einen besonderen Fokus auf den maximalen Anstieg der RFD setzt. Aus diesem Grund ist es nicht erstaunlich, dass dieser Bereich beim spezifischen Training gegenüber schweren Krafttraining zu besseren Anpassungen führt. Dadurch dass die genutzten Lasten im Explosivkraft- und ballistischen Krafttraining allerdings geringer ausfallen, haben wir weniger Potenzial die Maximalkraft mit diesen Methoden zu steigern. Als logische Konsequenz sollte demnach eine Kombination aus schweren Krafttraining, Explosivkrafttraining, ballistischen Krafttraining und Plyometrie genutzt werden, um die spezifischen Geschwindigkeitsbereich unter verschieden schwerer Lasten auszureizen („Mixed Methods“-Ansatz (3, 4).
Betrachtet man die von Haff und Nimphius bereitgestellten Übungen aus dem Schnellkrafttraining, so stellt man fest, dass diese in Kraft-Geschwindigkeits-Zonen eingeteilt wurden (4) – high force & high velocity (hohe Kraft und Geschwindigkeit), moderate-high force & moderate high velocity (moderate Kraft, moderate Geschwindigkeit), low force & high velocity (geringe Kraft & hohe Geschwindigkeit) und high force & low velocity (hohe Kraft & geringe Geschwindigkeit).
Abbildung 1: * Weist auf Übungen, welche in einem Bereich von 75-85% 1RM ausgeführt wurden und den höchsten Power-Output generieren. ** Weist auf Übungen, welche in einem Bereich von 0-30% 1RM ausgeführt werden und ebenfalls den höchsten Power-Output generieren.
Möchtest du jetzt einen kombinierten Trainingsansatz fahren, so kann eine Kombination aus allen Kraft-Geschwindigkeitszonen wie folgt aussehen (4):
Übung | Sätze x Wiederholungen | Gewicht (% 1RM) | Kraft-Geschwindigkeitszone |
Tiefsprung(englisch = deph jump) | 3 x 5 | 0 | High force, high velocity |
Jump Squat | 3 x 5 | 0-30 | Low force, high velocity |
Power Clean/ Snatch | 3 x 5 | 75-85 | High force, high velocity |
Kniebeuge | 3 x 5 | 80-85 | High force, low velocity |
Die Berücksichtigung aller Kraft-Geschwindigkeits-Zonen gewährleistet, dass du einen optimalen neuromuskulären und geschwindigkeitsspezifischen Stimulus setzt. Es stellt allerdings auch nur eine von vielen möglichen Variationen dar, um das Schnellkrafttraining für Trainierte zu optimieren.
Nächste Woche werden wir uns mit der letzten Kraftfähigkeit „Kraftausdauer“ beschäftigen.
Literatur
1. Boeckh-Behrens W-U, Buskies W, Beier P. Fitness-Krafttraining: Die besten Übungen und Methoden für Sport und Gesundheit. 17. Auflage, Originalausgabe. Rowohlt Taschenbuch Verlag: Reinbek bei Hamburg; 2016.
2. Cormie P, McGuigan MR, Newton RU. Developing maximal neuromuscular power: part 2 – training considerations for improving maximal power production. Sports Med. 2011; 41: 125–146. doi:10.2165/11538500-000000000-00000.
3. DeWeese B, Nimphius S. Program Design and Technique for Speed and Agility Training. In: Haff G, Triplett NT, eds.: Essentials of strength training and conditioning. Fourth edition. Human Kinetics: Champaign, IL, Windsor, ON, Leeds; 2016.
4. Haff GG, Nimphius S. Training Principles for Power. Strength & Conditioning Journal. 2012; 34: 2–12. doi:10.1519/SSC.0b013e31826db467.
5. Potach D, Chu D. Program Design and Technique for Plyometric Training. In: Haff G, Triplett NT, eds.: Essentials of strength training and conditioning. Fourth edition. Human Kinetics: Champaign, IL, Windsor, ON, Leeds; 2016.
6. Raeder C, Vuong J-L, Ferrauti A. Krafttraining. In: Ferrauti A, ed.: Trainingswissenschaft für die Sportpraxis: Lehrbuch für Studium, Ausbildung und Unterricht im Sport. 1. Aufl. 2020. Springer Berlin Heidelberg: Berlin, Heidelberg; 2020.